Am späten Abend des 10. Januars 2025 haben sich viele Antifaschist*innen Hamburgs, darunter auch große Teile des Café Knallharts getroffen, um dem Aufruf der Gruppe “Widersetzen” zu folgen. Mit zwölf solidarisch organisierten Bussen hat sich ein Hamburger Konvoi nach Riesa zum Parteitag der AfD aufgemacht. Die Finanzierung dieser Anfahrt haben die Aktivist*innen durch Spenden größtenteils selbst in die Hand genommen.
Wir wollen einen Einblick in unsere Erfahrungen zur Blockade und unsere Einschätzungen zum gesamten 11.01.2025 geben. Dabei werden wir auch über Polizeigewalt sprechen.
Auf nach Riesa!
Auf der Anfahrt nach Riesa wurde bereits jedes Szenario durchgespielt. Die Busse hatten eigene dezentral organisierte Awareness- und Kommunikationsteams, die den Konvoi strukturieren und Sicherheit durch Zusammenhalt gewährleisten. Kurz hinter Niedersachsen wurde der Konvoi um ca. 13 Busse erweitert, die aus anderen Teilen Norddeutschlands kamen.
Ca. 7km vor Riesa wurde der Konvoi durch die Polizei zum Halt gezwungen und die Orga hat sich zum kollektiven Ausstieg entschieden. Die Gruppe unseres bunten Fingers wurde leider getrennt. Wir machten uns also mit ca. 500 Aktivist*innen zu Fuß auf den Weg nach Riesa. Um 5 Uhr morgens bei Minusgraden. Die Demonstration zeigte hier schon eine starke Motivation und laute Demorufe waren selbst über die großen Felderflächen vor Riesa zu hören. In Riesa angekommen wurde direkt die designierte Kreuzung für unsere Gruppe erfolgreich blockiert. Sofort wurde sich daran gemacht, starke erste Reihen mit Bannern auszustatten und jede Zufahrt zu blockieren. Rettungswägen, Feuerwehr und Pflegepersonal wurden selbstverständlich jederzeit durchgelassen. Nun hieß es abwarten und checken, wie es im Rest der Stadt aussieht. Schnell wurde klar, dass unsere Situation viel bequemer als die der neun anderen Blockadepunkte um Riesa oder der Demo ist, die sich nahe der Arena aufhielt und in der die AfD ihren Parteitag abhalten wollte. Die Polizei ging bereits vor 8 Uhr mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen die Aktivist*innen vor, die sich kollektiv friedlich und deeskalierend verhalten haben. Dennoch blieben die Blockaden standhaft, es wurden Tripods aufgestellt und selbst die Shuttlebusse der AfD im Nebenort wurden blockiert. Auch Alice Weidel, die später zur Kanzlerkandidatin gekürte Faschistin, musste umkehren.
Die bunte Blockade
Nun kam auch der Rest des bunten Fingers, von dem wir getrennt waren, zu uns und die Blockade an unserer Kreuzung wuchs auf über 1000 aktive Antifaschist*innen. Die Polizei hatte sich bisher mit je einem Van pro Straßenseite positioniert und schien keine Anstalten zu machen, mit großer Repression auf uns zu reagieren. Das mag daran gelegen haben, dass wir ein unüberwindbares Hindernis dargestellt haben und sich die Polizei auf die schwächeren Ziele konzentrieren wollte.Ein Lautsprecherwagen und Küfa (Küche für alle) kamen zu unserer Unterstützung. Dieser Lautsprecherwagen gehörte zur Queer Pride Dresden, der wir hier nochmal unseren großen Dank und unsere Solidarirät für die kommenden Kämpfe, etwa gegen den Dresdner Neonazi-Aufmarsch im Februar, aussprechen wollen! Der gleiche Dank gilt selbstverständlich auch der Küfa, die uns Kraft gegeben hat. Durch diese Unterstützung konnten wir uns an unserer Kreuzung wohl und sicher fühlen.
Währenddessen machte sich aber auch der Wille breit, die anderen Blockaden zu unterstützen. Nachdem sicher war, dass sich an der Situation vorerst nicht viel ändern würde, fanden sich mehrere Bezugsgruppen (Bezugis) von ca. 200 Aktivist*innen zusammen und machten sich auf den Weg zum pinken Finger, der einen Kilometer entfernt wohl durch Wasserwerfer und Pfefferspray-Attacken akut Räumungsbedroht war. An der Polizei vorbei und “Auf gehts, Ab gehts, Wi-der-set-zen” rufend, wanderte der Block durch die Straßen Riesas. Auf erhobene Mittelfinger aus den Fenstern von Riesa-Anwohner*innen (meist Ü60) wurde geantwortet mit “Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here!”. Winkenden Passant*innen und Anwohner*innen wurde freudig zurückgewunken. Nach einem Kilometer musste leider festgestellt werden, dass die Blockade des pinken Fingers bereits geräumt wurde. Verstreute Aktivist*innen wurden eingesammelt und es ging geschlossen, “Stick together” rufend, zur nächsten angemeldeten Kundgebung an der Kreuzung einer Autobahnabfahrt. Dort wurde der Block erfreut von den Aktivist*innen empfangen und merkte sofort, dass Deeskalation nun wichtiger als je zuvor war, da viele der Unterstützten bereits Schläge durch Schlagstöcke und Pfefferspray ertragen mussten.
Die Polizei und ihre Freude an der Gewalt
Den Cops gegenüberstehend sangen alle gemeinsam “Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land, auf die Barrikaden, auf die Barrikaden”. In ihre Augen blickend, sahen sich die Aktivist*innen Menschen gegenüber, in deren Gesichtern sich hinter voller Montur und Helmvisieren ein Grinsen abzeichnete, da zu erwarten war, dass sie kurz davor waren, mit Gewalt die Kreuzung zu räumen. Jede Gegenwehr würde den Straftatbestand “Widerstand gegen die Staatsgewalt” bedeuten. Doch die Aktivist*innen blieben standhaft. Nach der zweiten Durchsage, dass die Versammlung aufgelöst wird und der Androhung von gewaltvollen Maßnahmen, versuchte die Gruppe per Megafon zu kommunizieren, dass sie dabei sei eine Versammlung anzumelden, um sich geordnet und friedlich zur Kundgebung am großen Sammelplatz der Demo zu bewegen. Dies ignorierte die Polizei und ging nun mit aller Gewalt gegen sie vor. Menschen wurden geschubst, ohne Rücksicht auf Verluste. Gegen Straßenschilder und Laternen, von Bordsteinkanten und gegen andere Aktivisti. Einigen wurde ins Gesicht gegriffen. Die Polizisten (bewusst nicht gegendert) schlugen auf Kopfhöhe auf die Menschen ein, zerstörten Brillen und warfen sie weg. Es wurden Schlauchschals heruntergezogen mit dem Satz “Zeig mir deine Fresse!”. Die Aktivist*innen haben versucht sich so stark gegen die Polizeikräfte zu stämmen, dass besonders die kleineren Menschen nicht zerquetscht wurden oder in Atemnot kamen. Auf Rufe wie “Wir gehen doch friedlich wohin ihr wollt” und “Wir bekommen keine Luft” oder “Ihr verletzt uns” wurde mit noch stärkerer Gewalt reagiert. Es kann nicht anders gesagt werden: Die Polizist*innen hatten sichtlich Spaß daran. Spaß an der Gewalt gegenüber jungen und alten Menschen, die sich der AfD widersetzten. Es fiel auch der Satz, wir Antifaschist*innen wären “genauso wie die AfD”. Zeitgleich oder ein wenig später predigte Alice Weidel die Deportation etlicher Menschen. Über ca. 20 Minuten wurden die Antifaschist*innen Richtung Bahnhof (also entgegen der Richtung die sie eigentlich angestrebt hatten, da sie zu einem sicheren Ort geführt hätte) geprügelt.
Nach der Räumung
Die Bezugsgruppen reformierten sich und versorgten die Verletzten und emotional stark Betroffenen. Nun hieß es, den Weg zur Kundgebung zu finden. In einem Stadium, in dem sie eigentlich mehrere Stunden Zeit zum Verarbeiten und Realisieren, was hier gerade passiert ist, gebraucht hätten, machten sie sich bereits 15 Minuten später gemeinsam auf den Weg. Sie wussten, dass in Riesa faschistische Gruppen und Neonazis unterwegs waren und sie in der Masse die größte Sicherheit für alle gewährleisten können. Auf dem Weg fanden sie auch den Rest des bunten Fingers wieder, die nun auch die Kreuzung wegen hohem Polizeiaufgebot räumen mussten. Da der Parteitag um 12, also mit zwei vollen Stunden verspätet sowieso angefangen hatte, galt es nun, alle sicher wieder nachhause und in die Busse zu bekommen. Beim Warten auf die Busse wurden noch mehrere Warnungen vor Neonazis ausgesprochen, die die verstreuten Einzelgruppen von wartenden Aktivist*innen zum Ziel hatten. Zum Glück konnten alle nach zwei Stunden Warten den Heimweg antreten und kamen kurz nach Mitternacht wieder sicher in Hamburg an.
Unsere Einschätzung
Wir haben an diesem Tag vieles gesehen und erlebt, vorallem Zusammenhalt, Solidarität und eine wahnsinnige Bestärkung in unserem Aktivismus. Über 12.000 Antifschist*innen haben sich erfolgreich der Polizei widersetzt und einen extrem stark verteidigten Parteitag einer Partei, die verboten gehört, um zwei Stunden verzögert. Das mag nach wenig klingen, aber für uns zeigt es auch nach der Widersetzen Aktion in Essen, dass wir jeden Tag mehr werden und den Menschen immer bewusster wird, dass die AfD eine Partei ist, deren Meinungen und Taten der Demokratie schaden und einen Wandel zu schlechteren Lebensbedingungen für migrantische, rassifizierte, jüdische, muslimische, queere, be_hinderte und von Armut betroffene Menschen (und viele mehr) führen. Also einem schlechteren Leben für die große Mehrheit der Bevölkerung. Somit ist jede Minute, die diese Menschen nicht über ihren Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Neoliberalismus sprechen können, ein kleiner Sieg für die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen. Die Aussagen der nun gewählten Kanzlerkandidatin und Faschistin Alice Weidel, die Hitler einen Kommunisten nennt und die Aktivisti in Riesa “rot angestrichene Nazis” zeigt klar das komplett verdrehte, geschichtsrevisionistische und faschistische Welt- und Menschenbild für das sich diese Partei einsetzt. Wir denken, dass der zivile Ungehorsam als legitimes Mittel in einer Demokratie genauso eingesetzt werden sollte, wie es hier in Riesa passiert ist. Die Gesetze, die von einer rassistischen und faschistisch geprägten Institution geschützt werden sind nicht ausreichend, um uns vor der Wiederkehr des Faschismus zu schützen. Darum stellt sich die Zivilgesellschaft auf die Straße und den Faschist*innen in den Weg.
Die Polizeigewalt hat viele Aktivist*innen hart getroffen. Es ist manchmal schwer, unseren Aktivismus und seine Erfolge nicht davon überschatten zu lassen. Der Angriff auf den Linken-Politiker Nam Duy Nguyen ist ein Beispiel für die Polizeigewalt, die etliche junge und ältere Menschen erfahren mussten. Dass es einen parlamentarischen Beobachter traf, wird zurecht skandalisiert. Allerdings sind die Erklärungen und Entschuldigungen der Polizei für uns alle (im übertragenden Sinne, aber auch im physischen) ein Schlag ins Gesicht. Diese Heuchelei macht uns wütend. Gleichzeitig fällt uns auf, dass selbst die Berichterstattung zur Polizeigewalt gegenüber Nguyen schlecht ist, wenn wir sie im Verhältnis sehen: So werden Christian Lindner etwa genauso viele Sekunden in der Tagesschau eingeräumt, wenn er Rasierschaum abbekommt, wie wen Nguyen von einem Polizisten gezielt bewusstlos geschlagen wird. Politiker*innen aller großen Parteien sprechen ihr Mitgefühl und ihre Solidarität gegenüber Lindner aus, bei Nguyen dürfen wir auf ernsthafte Reaktionen warten. Auch die generelle Berichterstattung konzentriert sich nicht darauf, dass eine Partei, die längst verboten sein sollte, die nichts als Terror und Unglück säht und Deutschland so nah an den Faschismus wie seit der NS-Zeit niemand sonst mehr gebracht hat, immer noch einen Parteitag abghalten darf. Unser wütendetes Unverständnis bezieht sich auch auf diese Unzumutbarkeiten.Natürlich hört der Kampf für uns hier nicht auf. Wir streben ein Ende der staatlichen Hierarchien aus anarchofeministischer Richtung an. Dazu gehört der Kampf zur Abschaffung des Patriarchats, die Befreiung aller Linken Aktivist*innen in Haft, die Abschaffung der Polizei und final des Kapitalismus hin zur autonomen Selbstverwaltung der solidarischen Zivilgesellschaft. Reformen werden diesen Wandel nicht bringen, wir können uns aber Räume schaffen, um diesen Kampf besser zu führen.
Abschluss
Bei all diesen Kritikpunkten möchten wir uns auch auf die schönen Erfahrungen in Riesa konzentrieren. Wir haben uns im großen Stil widersetzt, die Polizei hatte bei unserer Blockade nicht die geringste Chance. Wir denken zurück an unseren Lauf über die weiten Felder Riesas und die Lichter von den fernen Landstraßen anderer Finger aus anderen Städten. An das Jubeln aller im einst getrennten bunten Finger, der wieder zusammenfindet. Das Entdecken bekannter Gesichter in der entschlossenen Menschenmenge. Das wärmende Essen, das uns gebracht wurde. Unseren Zusammenhalt auch in den schwierigen Momenten, in denen die Polizei ihren Spaß daran hatte, uns zu drangsalieren. Und so, so viel mehr!Wir halten zusammen und lassen uns nicht von Meinungsverschiedenheiten bezüglich unseres Kampfes davon ablenken ihn zu führen. In Riesa sind wir alle Antifaschist*innen. Ob Revolutionäre, Kommunist*innen, Anarchist*innen, Feminist*innen oder Bürger*innen, die keinen Bock auf Nazis haben. Danke an Alle, die dort waren oder von Zuhause ihren Beitrag zu unserem Widerstand geleistet haben. An die Rote Hilfe und die Ermittlungsausschüsse, die uns jederzeit begleitet haben und natürlich an die Orga von Widersetzen, die Awarenessteams und Strukturen zu unserem Schutz und unserer Unterstützung bereitgestellt hat. Nächstes mal sind wir noch mehr!
Siamo Tutti Antifascisti!
Weitere Links
https://www.queerpridedd.org/index.php/2025/01/16/queerer-bunter-widerstand-in-riesa/
https://taz.de/Protest-gegen-AfD-Parteitag-in-Riesa/!6058476/
https://www.youtube.com/watch?v=fTIYf6MfBv0
https://www.youtube.com/watch?v=LO1uimWKpOw